Beatrice Voigt Kunst und Kulturprojekte & Edition

Blick zurück nach vorn

Hommage an das Künstlerpaar Helen und Newton Harrison

Am Beginn des Jahres 2023 laden wir ein zu einem Zeitsprung zurück ins Jahr 1993 in ein vor 30 Jahren avantgardistisch anmutendes Ausstellungs-, Aktions- und Dokumentationsprojekt, das unter dem Titel Kunst·Kultur·Ökologie – Auf dem Weg zu einer neuen Kulturlandschaft richtungsweisende künstlerische Positionen zum Bedeutungsdreieck „Kunst·Kultur·Ökologie“ präsentierte. Im Fokus stand die Frage nach zukunftsfähigen Konzepten zur Neuorientierung ganzer Regionen, deren Gegebenheiten primär unter Nutzungsaspekten betrachtet und behandelt worden waren – ungeachtet der sichtbaren und unsichtbaren Folgen für Luft, Wasser und Boden, für Pflanze, Tier und Mensch. Welche Ideen, Formen oder Strategien aus Künstlerwerkstätten bieten Antworten auf die Herausforderung der Rekultivierung zerstörter Landschaften? Gibt es Perspektiven für einen ästhetischen, ökologischen und ökonomischen Umbau verbrauchter Landschaften? Wie sehen Ansätze zur konkreten Gestaltung nachhaltiger Lebensqualität im Einklang von Natur und Technik aus?

Helen und Newton Harrison in der Bea Voigt Galerie, 1993
Herausragende Repräsentanten in diesem Themenfeld sind das amerikanische Künstlerpaar Helen und Newton Harrison, die neben Künstlern wie Dennis Oppenheim, Hans Haacke und Christo zu Begründern der „environmental art“ zählen. Nur wenige Jahre nach seiner Frau Helen ist nun auch Newton Harrison im Spätsommer 2022 verstorben. Die wegweisende künstlerische Leistung der Initiierung und Realisierung von regenerativen Transformationsprozessen in unterschiedlichsten Szenarien der Gesellschaft ist Anlass für eine Würdigung dieser beiden hochkreativen engagierten Persönlichkeiten, deren öko-logisches und öko-poetisches Denken, Schreiben und Gestalten bereits in den siebziger Jahren weit über klassische Vorstellungen von Kunst hinausreichte. Als Künstler schufen sie innovative ganzheitliche Lösungswege im Umgang mit bis dahin kaum wahrgenommenen Problemszenarien. Die hohe Komplexität und weite raumzeitliche Dimension dieser früh erkannten Aufgaben erforderte Mut, Erfindergeist und Ausdauer – Eigenschaften, die sich in der faszinierenden Vielfalt des Werks von Helen und Newton Harrison über die Dauer von mehr als 50 Jahren widerspiegeln.
The Muldeauen work springs from the Bitterfeld work and was our response to a second seminar at the Bauhaus on the subject of Wasser Kultur in 1993, led by Toby Tourbier and ourselves. The Muldeauen installation with the Bea Voigt team was presented by Bea Voigt Gallery Munich in October 1993.
The Bitterfeld work was our response to a seminar about the open pit mines held at the Bauhaus Dessau, sponsored by the Chamber of Architects of Hessen in 1992.
Helen Mayer-Harrison und Newton Harrison
Eines der im Rahmen der Ausstellung Kunst·Kultur·Ökologie vorgestellten Projekte war der Entwurf einer regenerativen Wieder- und Neubelebung des Muldeauen-Einzugsgebiets in Sachsen-Anhalt im Zusammenwirken mit dem Bauhaus Dessau. Ausgehend von der Wahrnehmung der Erde als Organismus, ein Lebewesen, dessen Krankheiten die Künstler diagnostizierten, rekonstruierten sie die Geschichte des Ortes, dokumentierten die aktuellen Gegebenheiten sowie den Diskurs zur Situation und erstellten schließlich ihr „heilendes Rezept“ durch das Erzählen einer neuen Geschichte. Dieser konzeptuelle Prozess, visualisiert durch diverse Medien und verbalisiert durch eine öko-poetische Form des Dialogs der beiden Künstler, bildete den Ansatz zur Visionsbildung und faktischen Behandlung unterschiedlichster Fragestellungen und manifestierte sich exemplarisch in einzigartigen situationsspezifischen Stadt- und Landschaftsplanungen in den USA und Europa.
Kunst·Kultur·Ökologie – Projekte des vor drei Jahrzehnten initiierten und kontinuierlich gewachsenen Themenfeldes bilden vielschichtige Reflexionsebenen mit Blick auf das Verhältnis von Mensch und Umwelt, Naturwissenschaft und Ästhetik. Die 1993 vorgestellten Arbeiten weiterer heute international renommierter Künstler wie Mel Chin, Mark Dion oder Alan Sonfist sind künstlerische Inszenierungen von „Zeitlandschaften“ als Zeichen der Wandlung, Perspektiven der Gewinnung von Energie, der Dekontamination von Böden, Be- und Verwertung von „Abfall“ bzw. Wertstoffen bis hin zur Revitalisierung und Rekultivierung ganzer Landschaften auf der Grundlage eines zukunftsoffenen Denkens und Gestaltens in Kreisläufen. Zum Projekt erschien 1997 eine umfassende Dokumentation, die den öko-logischen und öko-poetischen Ansatz des künstlerischen Schaffens von Helen und Newton Harrison aufzeigt. Weitere Informationen zum Projekt unter Kunst·Kultur·Ökologie

Zukunftsfähiges Denken und Handeln ist auf grundsätzliche Weise mit Kreativität und Kunst verbunden. Künstlerische Impulse können intuitive Fähigkeiten und integrative Sichtweisen fördern und so zu einer ganzheitlichen Sicht komplexer Zusammenhänge beitragen, die den inneren Zusammenhang zwischen Subjekt und Umwelt, Natur und Technik u.a.m. nachvollziehbar macht. Das Projekt Kunst·Kultur·Ökologie markierte den Schritt der Kunst hinein in Szenarien und Problemfelder der Kulturlandschaft mit der Intention, unsere Lebenswirklichkeit im Sinne einer „Ökologischen Ästhetik“ zu bilden und zu formen. Die Gestaltung des Lebens selbst wird so zu einer Kunstform, die weniger „ausstellen“ als vielmehr „einstimmen“ möchte – ein Kunstwerk, das den Betrachter „ansieht“ und in seinem Denken, Fühlen und Handeln berührt. Das Lebenswerk von Helen Mayer-Harrison und Newton Harrison hat den Weg dahin bereitet.

Beatrice Voigt

München, im Januar 2023